Jung, dynamisch, erfolgreich und frustriert – Warum Ziele einem Menschen schaden können
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Grau.
Einfach grau.
Wenn es eine Farbe gibt, die seinen Zustand sichtbar macht, dann ist es grau.
Er ist am Ende. Ohne Perspektive, ohne Antrieb - einfach nur leer.
Ein Sieger, durch und durch.
Nein, im Ernst. Das ist nicht zynisch gemeint. Er hat alle seine Ziele erreicht und einige sogar übertroffen. Eine Eins mit Sternchen in allen Disziplinen sozusagen. Aber warum um Gottes Willen ist er dann nicht glücklich?
Vom Leid der Zielerreichung auf dem falschen Weg
Um das besser zu verstehen, müssen wir ein wenig zurückblenden. Mein Bekannter - wir wollen ihn hier Markus nennen - hatte alles andere als gute Voraussetzungen im Leben. Die Eltern hatten ihn lieb. Er war das einzige Kind. Seine größere Schwester war bei der Geburt gestorben und auch bei seiner Geburt gab es Komplikationen. Er kam durch, aber die Mutter konnte keine weiteren Kinder bekommen.
Entsprechend wurde er in Watte gepackt und vor allem möglichen Schaden bewahrt. Das ist einerseits ein schönes Gefühl der Geborgenheit, aber auch ein Verhalten, das die Lebensfähigkeit eines Menschen stark einschränkt, der an Schwierigkeiten und Rückschlägen wächst. Wenn einem Kind die blutigen Nasen erspart werden, die man sich im Leben halt nun mal irgendwann holt, dann geht es völlig unvorbereitet in die Welt.
So erging es dann auch Markus. Irgendwann prallte er mit der wirklichen Welt zusammen. In der Schule wurde er gehänselt. Ein Weichei, das sich nicht wehren kann ist schließlich ein willkommenes Opfer für jugendliche Machtgelüste auf dem Pausenhof.
Seine ersten zarten Versuche eine Beziehung zu anderen aufzubauen scheiterte immer an seinem Anspruchsdenken. Er war es gewohnt, dass andere für ihn da sind und dass sich alles um ihn und seine Bedürfnisse und Ängste dreht. Dass andere auch Ansprüche haben und von ihm Entgegenkommen und Hilfe erwarten war er nicht gewohnt. Und die meisten seiner zeitweiligen Freunde machten sich nicht die Mühe ihm zu erklären, warum sie sich mit der Zeit wieder von ihm lösten. Viele reagierten sogar enttäuscht und beleidigt und er fragte sich, warum ausgerechnet er immer solche Idioten in sein Leben zog.
Das Gefühl, das Leben habe sich gegen einen verschworen
Irgendwie hatte sich sein ganzes Leben lang alles gegen ihn verschworen. Immer wenn gerade ein kleines Pflänzchen der Anerkennung und des Erfolgs bei ihm zum Vorschein kam, tauchte irgendjemand auf, der es zertrat. Oder es geschah etwas, was das Pflänzchen zum Verblühen brachte.
Verbittert fing er an, den Menschen zu misstrauen. Seine Mutter hatte ihn ja gewarnt. “Die Menschen haben nur ihren eigenen Vorteil im Sinn und verkaufen Dich bei der erstbesten Gelegenheit”, hatte sie immer gesagt. Sie hatte ja so Recht gehabt, das erkannte er jetzt.
So gestaltete er seine Partnerwahl auch eher pragmatisch. Seine Angetraute war nicht die Liebe seines Lebens, sondern eine Partnerin, die ihm zuverlässig erschien. Die für ihn da war. Seine große Liebe hatte er vorher durchlebt, aber seine Seelenverwandte, für die er sie hielt, hatte ihn, wie so viele Menschen in seinem Leben, wieder verlassen. Sie fühlte sich nicht wahrgenommen, hatte sie ihm zum Abschied gesagt.
Er konnte damit nichts anfangen. Wahrscheinlich hat sie nur eine Ausrede gebraucht, um ihren Verrat an ihm zu rechtfertigen. Seine jetzige Partnerin liebte ihn aufrichtig und war immer für ihn da. Sie stärkte ihm den Rücken und hielt ihm selbigen frei, als er begann sich auf seine Karriere zu konzentrieren.
Den Fokus immer klar auf die Ziele ausgerichtet
Er setzte sich klare Ziele. Er wollte bedeutend werden, respektiert werden. Er wollte sich Anerkennung und Respekt verschaffen - ja, das war es. Sichtbarer Erfolg war das Mittel zum Zweck, das er für sich ausmachte. Menschen mit Geld und Einfluss wurden nicht herumgeschubst. Also setzte er sich ehrgeizige Ziele in allen Lebensbereichen.
Er wollte Marathon laufen, schlank werden - nein - er wollte einen Traumkörper haben. Er wollte Millionär werden - oder noch besser, der reichste Mensch seiner Region. Er wollte ein großes Unternehmen aufbauen und politischen Einfluss gewinnen. Selbst seine Ehe sollte die beste sein, die es in seinem Umfeld gab.
Er arbeitete ausgeklügelte Pläne aus, wie er all diese Ziele erreichen kann und er war der Meinung, der Zweck heilige die Mittel. Er war voll auf seine Ziele fokussiert, wie er es in vielen Zielerreichungsbüchern gelesen hatte. Setz Dir große Ziele und hör nie auf an deren Erreichung zu arbeiten, hieß es da.
Das sei das Geheimnis der Erfolgreichen - Zielfokussierung und Durchhaltevermögen. Und es funktionierte auch bei ihm. Mit atemberaubender Geschwindigkeit ging es geschäftlich mit ihm aufwärts.
Setz Dir große Ziele und arbeite ständig daran
Schon drei Jahre nach seiner Neuausrichtung machte er sich selbständig. Nach sechs Jahren hatte er schon hundert Angestellte. Sein Nettovermögen hatte fast nebenbei die Millionengrenze überschritten. Er lief den New York Marathon unter 3 Stunden und auch sonst war er fast schon besessen vom Gewinnen.
Er wollte immer der Erste und der Beste sein, wenn er auf einem Gebiet gegen andere antrat. Endlich bekam er das, was er seiner Meinung nach verdiente. Er war ein anerkannter Geschäftsmann, reich und bedeutend. Seine politischen Mandate brachten ihm zusätzlich viel Einfluss und nützliche Kontakte.
Er hatte es tatsächlich geschafft. Alle seine Ziele hatte er erreicht - die meisten davon sogar weit übertroffen. Ein Sieger durch und durch. Ein Gewinner, wie er im Buche steht.
Er fühlte sich einfach grauenhaft und er hatte mehrmals an diesem Tag seine Pistole in der Hand. Lediglich seine Angst vor diesem letzten Schritt hielt ihn davon ab, diesem Leben ein Ende zu setzen.
Kann man erfolgreich und unglücklich sein?
Die Liste der Beispiele füllt viele Seiten. Erfolgreiche Musiker, Schauspieler, Unternehmer oder sonstige Menschen, die am Ziel Ihrer Träume angekommen sind und sich umbringen oder dem Drogenrausch verfallen. Sie haben alles erreicht, was sie sich vorgenommen haben, aber sie haben da oben an der Spitze nicht das gefunden, was sie gesucht haben.
Das Ziel ist weg. Zu der oder dem Besten in einer Disziplin gibt es keine Steigerung mehr. Somit ist also auch keine neue Herausforderung in Sicht - jedenfalls keine spannende. Zwar ist die Verteidigung der Spitze auch eine Herausforderung, aber lange nicht so spannend, wie der Reiz, sie zu erreichen.
Was aber viel schwerer wiegt ist das Schlachtfeld, das manche Menschen auf dem Weg zum Ziel hinter sich zurücklassen. All die Opfer, die sie gebracht haben - in ihrem eigenen Leben und in dem Leben derer, die sie begleitet haben.
Wenn der Blick von der Spitze zurück nur verbrannte Erde zeigt
Unser Freund Markus hatte auf seinem Weg viel verbrannte Erde hinterlassen. Er hat rücksichtslos Menschen benutzt, wenn sie ihm nützlich waren und wieder fallen gelassen, wenn er sie nicht mehr brauchte. Seine Ehe war ein Fiasko. Seine Frau bemühte sich aufrichtig um seine Liebe und zerbrach schließlich an seiner Kälte. Seinen Kindern war er fremd. Bei ihrer Geburt konnte er nicht dabei sein - wichtige Geschäftstermine. Seine Sekretärin ließ ausrichten, er freue sich.
Als sie immer stärker dem Alkohol zusprach, machte er ihr Vorwürfe und achtete darauf, dass nichts an die Öffentlichkeit kam. Sein Ruf war ihm schließlich wichtig. Dafür hatte sie ein Leben im Luxus, dachte er, also warum stellt sie sich so an?
Heute, an dem Tag, an dem er alle Ziele abhaken konnte, sehnte er sich danach diesen Erfolg mit jemand feiern zu können, ihn zu teilen, aber es war niemand da. Diejenigen, die für ihn da gewesen wären, waren an dem Menschen Markus nicht interessiert - das wusste er. Für sie war er Auftraggeber, Arbeitgeber, oder ein Sprungbrett zu deren Zielen. Freunde hatte er nicht. Die wenigen Menschen, denen er freundschaftlich verbunden war, hatte er allesamt mit der Zeit vor den Kopf gestoßen und irgendwann verloren.
Er war am Ziel seiner Träume und doch gnadenlos am Leben gescheitert.
Bevor wir hier gedanklich in die falsche Richtung galoppieren möchte ich vorausschicken, dass Erfolg im Außen keineswegs immer unglücklich macht, oder dass nur inneres Glück zur Erfüllung führen würde. Das ist nicht die Botschaft dieser Geschichte. Man kann sehr wohl ein erfolgreiches und glückliches Leben führen.
Wenn man aber, so wie Markus, auf dem Weg zum Ziel die eigenen Werte vergisst, oder gar opfert, dann führt das immer in die Katastrophe. Wenn man vergisst, zu hinterfragen, warum man das alles erreichen will, dann legt man sich Scheuklappen an und übersieht die Schönheit und das Glück am Wegesrand. Dann verlernt man Wichtiges von wirklich Bedeutendem zu unterscheiden.
Ein werteorientiertes Leben bringt mehr Erfüllung, als reine Zielerreichung
Wenn die eigentlichen Werte nicht gelebt und sogar unterdrückt werden, ist das der direkte Weg in die Hölle. Ein werteorientiertes Leben verspricht also wesentlich mehr persönlichen, ganzheitlichen Erfolg, als eine reine Zielorientierung. Mit letzterer lässt sich sehr viel erreichen, aber sie macht den Weg zum Ziel oft zu einer Straße der Leiden für alle Beteiligten.
Wer dagegen seine Ziele an seinen Werten ausrichtet und wirklich alle Bereiche einbezieht, der hat die besten Aussichten den Lebensweg zu genießen, unabhängig von der Zielerreichung. Das Ziel kann dann als das dienen, als was es gedacht ist: Als Leitstern, der uns Richtung gibt und als Ansporn, an dem wir wachsen und uns entwickeln können.
Prüfen Sie deshalb Ihre Ziele immer anhand der folgenden Fragen:
- Wer muss ich werden, um das Ziel zu erreichen?
- Wie muss ich werden, um das Ziel zu erreichen?
- Was muss ich lernen / können, um das Ziel zu erreichen?
- Wer und was werde ich sein, wenn ich das Ziel erreicht habe?
- Warum ist mir die Zielerreichung so wichtig? Was verbinde ich damit?
- Was muss ich aufgeben / verändern, um das Ziel zu erreichen?
- Wie sieht mein Alltag dann auf dem Weg zum Ziel aus?
- Was sind meine wichtigsten Werte im Leben?
- Kann ich diese Werte im Alltag leben, wenn ich an der Zielerreichung arbeite?
Markus hat seine Phase des Selbstmitleids mittlerweile überwunden. Er hat sein Leben, mit Hilfe eines Coaches aufgearbeitet. Die Erkenntnisse, die er nach und nach erlangte, haben ihm die Augen geöffnet. Er hat sein Wertesystem erkundet und kann nun nachvollziehen, was in seinem Leben alles schief lief und wer dafür verantwortlich ist.
Er hat gelernt, dass er selbst für alles verantwortlich ist, was in seinem Leben geschieht. Nicht für alles was ihm im Leben begegnet und zustößt, aber immer für die Art, wie er damit umgeht. Er hat gelernt, dass er am glücklichsten ist, wenn er etwas für andere tun kann und ihnen auf ihrem Weg ein Stück weiterhelfen kann. Ein Wunsch, den er schon in frühester Jugend hatte. Aber seine Eltern wollten kein Kind, das etwas leistet. Sie wollten ein Kind, das sie beschützen konnten. Er weiß heute, dass auch sie in ihrer Rolle gefangen waren.
Er hat heute den Wert erkannt, den er einem harmonischen Familienleben beimisst und dass er diesen Wert so lange mit Füßen getreten hat. Das Verhältnis zu seinen Kindern und seiner Frau ist immer noch distanziert. Zu stark waren die Verletzungen, die er ihnen beigebracht hat. Aber er hat sich ihnen wieder angenähert und das Verhältnis verbessert sich langsam.
Es ist nie zu spät für ein neues Leben
Ganz langsam und behutsam baut Markus heute sein neues Leben auf. Er hat sich neue Ziele gesteckt, aber diesmal hat er ihnen die richtige Priorität zugeordnet. Er ist darauf bedacht seine Werte zu leben und wenn diese mit seinen Zielen in Konflikt geraten, passt er die Ziele an.
Ganz kann er auch heute noch nicht aus seiner Haut und versucht nun oft perfekt darin zu werden, seine Werte zu leben und setzt sich damit wieder unter Zielerreichungsstress, aber im Gegensatz zu früher, erkennt er das heute immer öfter. Er nimmt sich Zeit, um sein Leben zu reflektieren und es gelingt ihm immer besser seine Wahrnehmung zu schärfen. Er ist viel mehr auf Empfang als auf Sendung. Und das tut ihm sichtlich gut.
Er hat gelernt seine Werte zu ordnen und solche zu erkennen, die in Konflikt miteinander stehen. Er wird immer besser darin, echte Werte von Scheinwerten zu unterscheiden und er kommt immer mehr in Einklang mit sich selbst.
Er würde sich sicher freuen, wenn seine Geschichte als Inspiration für Ihre eigenen Gedanken zu dem Thema dienen würde. Vielleicht reflektieren Sie zumindest ein wenig, wo Sie sich in der Geschichte wiedererkannt haben.
Ich hatte seiner Geschichte zunächst auch mit Distanz und stellenweise mit Unverständnis gelauscht. Erst als ich mir erlaubt habe, etwas genauer hinzusehen, habe ich einige Ansatzpunkte erkannt, die auch mein eigenes Verhalten widerspiegeln, wenn auch nicht in diesem Ausmaß.
Wie sind Ihre Erfahrungen?
Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Erforschung der eigenen Werte, sofern noch nicht geschehen. Und vor allem viel Erfolg beim Setzen passender Ziele, die Ihr Leben in die, für Sie passende, Richtung lenken.
Leben Sie eher zielfokussiert, oder werteorientiert? Oder eher einfach im Hier und Jetzt ohne Blick auf die Zukunft? Auch das ist schließlich ein Denk- und Lebensmodell.
Alles Gute und
bis bald
Ihr
Gerd Ziegler
PS:
Dem Thema Werte habe ich im Buch “Vom Traum zum Ziel” nicht umsonst ein ganzes Kapitel gewidmet: “Werte sind der Chef im Ring” heißt es, und es geht dort auch um ein Problem, das unser Leben zusätzlich ins Wanken bringen kann - den Konflikt zwischen einzelnen Werten. Wenn zum Beispiel eine Handlung einem wichtigen Wert in uns entspricht, aber dem anderen zuwiderläuft. Wer mehr dazu lesen will findet das Buch hier: Vom Traum zum Ziel (LINK einfügen http://vom-traum-zum-ziel.de