Das weiß doch jeder – die Halbwertzeit wilder Geschichten
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Haben Sie auch schon davon gehört, dass die chinesische Mauer das einzige, von Menschenhand geschaffene, Bauwerk der Welt sei das man vom Weltraum aus sehen kann? Die Wahrscheinlichkeit ist relativ groß, dass sie das sogar eine Zeit lang für wahr gehalten haben. Es handelt sich um eine dieser Geschichten, die sich hartnäckig in der Umlaufbahn menschlicher Kommunikation halten, obwohl sie natürlich einer genaueren Prüfung nicht einmal im Ansatz standhalten. Die chinesische Mauer ist nunmal nicht breiter als eine Autobahn und auch nicht breiter als jeder größere Fluss. Diese Flüsse und Autobahnen müsste man dann ja ebenfalls von dort oben erkennen.
Wenn man es so betrachtet ist es eigentlich logisch, oder? Warum gehen solche Stories dann trotzdem ins “Allgemeinwissen” über? Liegt das daran, dass wir nur 10 % unseres Gehirns wirklich nutzen? Zugegeben, bei manchen Zeitgenossen scheint sogar das noch übertrieben, aber im allgemeinen nutzen wir alle Bereiche unseres Gehirns und es sind im Wachzustand zwischen 60 und 80 % gleichzeitig aktiv, im Traumschlaf sogar oft bis zu 90 %. Wäre das nicht so, hätte man bei einem Kopfschuss immerhin noch eine Chance von 9:1, dass der Treffer, ohne größeren Schaden anzurichten, im ungenutzen Bereich landet.
Gefährliches Halbwissen
Aber Spaß beiseite. Nicht immer ist diese Art von falschem Allgemeinwissen so harmlos. Bei der Nutzung unseres Gehirnpotentials haben wohl zahlreiche Mental- und Motivationstrainer zu dem Mythos beigetragen, die damit unterstreichen wollten, dass wir noch Reserven haben, bei der effektiven Nutzung unseres Gehirns. Und wie so oft, wenn ein Beispiel oft genug verwendet wird, hinterfragt es kaum noch jemand. Wenn es dann um Fehlinformationen bezüglich der Gesundheit, der Ernährung oder gut gepflegter Vorurteile geht, dann wird das Ganze schon gefährlicher.
Fleisch ist ein Stück Lebenskraft – dieser gut gepflegte Mythos hat sich tief in den Nebeln unseres scheinbaren Allgemeinwissens eingeprägt. Dabei handelt es sich hier um eine gut gemachte Marketingkampagne, die mittlerweile mehrfach widerlegt wurde. Im Gegenteil dazu steht Fleisch, genau wie die meisten tierischen Produkte, im Zusammenhang mit den sogenannten Zivilisationskrankheiten. Aber der Glauben, Fleisch würde einem Kraft verleihen und man würde sich schaden, wenn man darauf verzichtet, hält sich hartnäckig.
Geschichten als Mittel der Politik
Auch Geschichten über bestimmte Volksgruppen und Religionen haben eine erstaunlich lange Lebensdauer, gemessen an ihrem Wahrheitsgehalt. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. In den 90ern belegten die sogenannten Russland-Deutschen in unserer Kleinstadt, innerhalb kürzester Zeit, einen ganzen Stadtteil – zumindest wurde dieser Eindruck erweckt, da immerhin mehr als 50 % der Einwohner dieses Stadtteils aus Russland übergesiedelt waren. Schon nach kurzer Zeit kursierten die wildesten Geschichten, die sich teilweise noch bis heute gehalten haben. Von Schweinen, die in der Badewanne geschlachtet wurden, von Hühnern, die auf dem Balkon gehalten wurden, von jungen Mädchen, die sich in der Tiefgarage prostituierten und vieles mehr. Je wilder die Story, desto lang anhaltender und durchschlagender die Verbreitung.
Von den haarsträubenden Geschichten, die von Staats wegen im Nazireich über die Juden in Umlauf gebracht wurden ganz zu schweigen. In Teilen Afrikas werden junge Mädchen vergewaltigt, weil die Menschen glauben, AIDS wäre heilbar, wenn man mit einer Jungfrau schläft. Elefanten, Nashörner, Haie und andere Tierarten sind in vielen Gegenden fast ausgerottet weil ein paar Idioten glauben, Substanzen die aus dem Elfenbein oder anderen Teilen ihres Körpers, würde deren Potenz erhöhen.
Selbstbestimmt leben geht nur als Selbstdenker
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Eine Theorie wird aufgestellt, scheinbare, meist subjektive Beweise gesammelt und die Legende ist geboren. Auch im Weiterbildungsbereich ist dieses Phänomen zu finden. Zum Beispiel die Story mit den 100 Zielen, die jemand irgendwann einmal aufschrieb und die Notizen danach irgendwo ablegte. Nach ein paar Jahren (in manchen Fällen waren es sogar nur Monate) findet derjenige den Zettel wieder und stellt fest, dass er mittlerweile alle diese Wünsche und Ziele erreicht hat. Damit soll die Wichtigkeit schriftlicher Ziele unterstrichen werden.
Tatsächlich glaube auch ich, dass schriftlich festgehaltene Ziele einem bei der Orientierung im Alltag helfen, aber die Story oben ist natürlich an den Haaren herbeigezogen und wird einfach von zahlreichen Trainern benutzt, weil sie sich gut verkauft. Kein einziger von ihnen kennt wirklich so einen Fall. Er oder sie kennt immer nur einen, der hat einen Verwandten und dessen Schwester hat einen geheiratet, bei dem war das genau so.
Irren ist menschlich
Wie gesagt, manche dieser wilden Stories sind hilfreich, andere behindern Ihre Fortschritte, weil sie den Blick auf die tatsächlichen Möglichkeiten verstellen und wieder andere richten schon über Jahre großen Schaden an. Wir alle sind oft unaufmerksam und schlucken solche Informationen ungefiltert und unkritisch. Je nachdem, wer etwas erzählt und wie aufregend das Ganze klingt, desto eher sind wir bereit, solche Geschichten weiter zu verbreiten. Wenn ein großer Guru, ein bedeutender Politiker, ein Star, den wir bewundern oder eine sonstige Autorität etwas von sich gibt, schenken wir dem eher Glauben, als wenn ein völlig Unbekannter etwas erzählt.
Dabei haben alle diese Personengruppen eines gemeinsam. Es sind Menschen und somit von vornherein fehleranfällig. Auch die größten Genies der Menschheitsgeschichte haben immer mal wieder Blödsinn von sich gegeben – zumindest im Nachhinein betrachtet – oder haben sich in völlig wirre Ideen verrannt. Irren ist menschlich. Nehmen Sie deshalb nicht alles ungefiltert und ungeprüft als Tatsache hin, nur weil es alle anderen auch so erzählen, oder weil es eine Autorität als Tatsache ansieht.
Wir alle suchen Orientierung. Dabei von Menschen zu lernen, die schon ein paar Schritte weiter sind als wir ist sicher nicht der schlechteste Weg diese Orientierung zu finden. Verlassen Sie sich dabei aber nicht nur auf eine Quelle und vergessen Sie nicht Ihre Fähigkeit einen klaren, nicht verklärten Blick auf solche Geschichten zu werfen. In unserem Buch, das im Februar erscheinen wird, haben wir dieser Gefahr für Ihre Möglichkeiten ein ganzes Kapitel gewidmet. Denn falsche Glaubenssätze und Überzeugungen behindern Sie nicht nur, sie führen nicht selten in Ihre ganz persönliche Sackgasse, weil Sie denken mit Ihnen würde etwas nicht stimmen, weil es nicht wie erwartet funktioniert.
Ansonsten wünsche ich Ihnen maximale Erfolge beim Selbst-, Nach- und Vordenken. Es wird Ihnen einiges erleichtern.
Bis bald
Ihr
Gerd Ziegler