Blinde Hilfe schadet nur
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Schon früh in unserer Kindheit lernen wir unseren Fokus auf das zu richten, was schief läuft, bzw. was noch nicht funktioniert. Dinge, die klappen, setzen wir voraus, zumindest wird die Latte sofort höher gesetzt, wenn wir ein Ziel erreicht haben. Spätestens in der Schule werden dann die besten Noten für die Schüler vergeben, welche die wenigsten Fehler machen. Im Diktat steht dann beispielsweise nicht 395 Worte richtig geschrieben, sondern da steht dann 8 Fehler.
In diesem Blickpunkt widmen wir uns unserer Fixierung auf Fehler und der Hilfe an der falschen Stelle, die oft wesentlich mehr Schaden anrichtet, als zunächst sichtbar wird.
Versagensängste, Zögerlichkeit und chronische Unzufriedenheit
Aus dieser Fehlerfixierung entstehen zahlreiche Ursachen, die in unserem späteren Leben kein Quell steter Freude sind. Eine chronische Unzufriedenheit, Zögerlichkeit aus Angst vor Fehlern und die zwanghafte Versuchung anderen frühzeitig zu helfen, um sie vor Fehlern zu bewahren seien hier nur als Beispiele genannt. Es gibt noch einige mehr.
Auch im Arbeitsleben nehmen wir die hervorragende, tägliche Leistung der Mitarbeiter als selbstverständlich hin, aber schicken Abmahnungen und Kündigungen, wenn mal etwas schief läuft. Wertschätzung geht irgendwie anders.
Wie sieht das bei Ihnen aus? Erkennen Sie noch, wenn Ihnen Gutes widerfährt? Nehmen Sie wahr, wenn Sie beim Einkaufen gut bedient und beraten werden? Oder achten Sie eher darauf, was der Verkäufer oder die Verkäuferin noch verbessern könnten, oder gar falsch gemacht haben?
Oder bei Ihren Kindern? Dürfen die genügend Fehler machen und Neues ausprobieren? Dürfen Sie auch mal auf die Schnauze fallen und sich blutige Nasen holen? Im bildlichen und im übertragenen Sinne? Oder neigen Sie dazu, Ihre Kinder vor Fehlern und allem Schaden, der daraus entstehen kann, bewahren zu wollen?
Der Wunsch andere, nicht nur Ihre Kinder, vor Fehlern zu bewahren und unsere Hilfe anzubieten ist ja ansich nichts Schlechtes. Die Absicht ehrt den Hilfsbereiten. Allerdings richtet er oder sie damit oft größeren Schaden an, als zunächst sichtbar wird. Ich möchte Ihnen das anhand einer kleinen Geschichte verdeutlichen.
In der Anstrengung stärken Sie Ihre Flügel
Ein Wanderer geht im Wald spazieren und sieht plötzlich am Boden einen Kokon liegen. Ein Schmetterling versucht gerade verzweifelt sich daraus zu befreien. Er müht sich sichtlich ab, schafft es aber einfach nicht aus seinem Gefängnis zu entkommen. Der Mann hat Mitleid und mag diesem Treiben nicht länger zuschauen. Schließlich ist es für ihn, mit seinen Kräften ein Leichtes, den Schmetterling zu befreien. Vorsichtig schält er den Flattermann aus seiner Behausung, bis beide Flügel frei sind. Zufrieden lächelt der Mann und geht pfeifend weiter seines Wegs. Der Schmetterling lebt noch ein paar Stunden und verendet dann kläglich auf dem Waldboden, auf dem ihn der Wanderer zurückgelassen hat.
Was war passiert? Der Prozess der Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling ist ein sehr aufwändiger und die Befreiung aus dem Kokon ein wesentlicher Teil davon. Während sich der Schmetterling abmüht, um sein Gefängnis abzustreifen, entwickelt er die nötige Kraft in den Flügeln, die er später braucht um zu fliegen. Die gut gemeinte Hilfe des Wanderers hat also hier in diesem Fall einfach nur Schaden angerichtet, indem er diesen wichtigen Entwicklungsprozess unterbrochen hat.
Lässt sich das auch auf unseren Alltag übertragen? Sind manche Fehler und Anstrengungen nicht auch bei uns einfach nötig, um daran zu wachsen und uns zu entwickeln? Auch unsere Flügel brauchen Kraft, wenn wir fliegen wollen und diese Kraft bekommen wir durch Widerstand. Das ist ein Naturgesetz.
Sie müssen Ihren Kokon abstreifen und dabei stärker werden
Wir müssen Fehler machen, um daraus zu lernen und wir müssen uns an Aufgaben heranwagen, für die wir zunächst noch zu schwach sind. Wenn wir anfangen uns aus unserem Kokon der jetzigen Situation heraus zu kämpfen, ist das im Normalfall zunächst vergebene Liebesmühe. Unsere Kräfte, unsere Fähigkeiten und unser Wissen reichen am Anfang bei Weitem noch nicht aus. Die Lage scheint aussichtslos, aber mit jeder neuen Erkenntnis, mit jedem Fehlschlag, mit jeder Anstrengung, werden unsere Flügel ein kleines bisschen stärker, bis wir schließlich die Kraft entwickelt haben uns zu befreien.
Dieses Training war dann elementar wichtig, damit uns unsere Flügel auch danach durch die Lüfte, zu unserem Ziel hin tragen. Diese Analogie mag Ihnen vielleicht etwas zu pathetisch vorkommen, dann ersetzen Sie die Schmetterlingsflügel einfach durch das Training Ihrer mentalen und physischen Muskeln für die Herausforderungen, die vor Ihnen liegen.
Wenn Sie von einem Leben träumen, das bisher für Sie unerreichbar scheint, dann müssen Sie offensichtlich in Zukunft etwas anders machen als bisher. Sie brauchen andere Fähigkeiten, andere Strategien, andere Glaubenssätze und Überzeugungen und wahrscheinlich auch eine andere Einstellung. Der Kokon symbolisiert Ihre Komfortzone, das Leben, so wie Sie es jetzt kennen. Hier fühlen Sie sich zwar in gewisser Weise eingesperrt, aber eben auch sicher und beschützt.
Mit dem, was Sie jetzt schon wissen und können, werden die Mauern Ihrer Komfortzone nicht zu durchbrechen sein. Sie müssen es trotzdem versuchen, dabei Fehler machen, daraus lernen, sich gegen die Mauer stemmen, auch wenn sie sich zunächst keinen Millimeter bewegt und Sie werden dadurch nach und nach stärker und besser werden. Sie werden wachsen und sich entwickeln, bis Ihre Flügel stark genug sind um sich zu befreien.
Stärken stärken statt Fehler bekämpfen
Legen Sie dazu die eingeimpfte Fokussierung auf das, was nicht passt ab. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf das, was Sie haben, sein oder werden wollen. Richten Sie Ihren Blick ausschließlich auf das, was Sie erschaffen wollen, nicht auf das was Sie nicht mehr wollen. Betrachten Sie Fehler und Fehlschläge als das, was sie sind: wichtige und oft notwendige Erfahrungen, die Ihnen auf Ihrem Weg weiterhelfen.
Sorgen Sie auch in Ihrem Umfeld, besonders bei Ihren Kindern dafür, dass Stärken gestärkt werden und Fehler nicht nur zugelassen, sondern eingefordert werden. Wer keine Fehler macht, war oft einfach nicht mutig genug, etwas Neues, Ungewisses anzugehen und neue Wege auszuprobieren. Auf alten, eingefahrenen Wegen kommt man aber an keine neuen Ziele.
Nehmen Sie Hilfe dort an, wo Sie selbst nicht weiterkommen, aber achten Sie darauf, dass Sie dadurch nicht in unangenehme Abhängigkeiten geraten. Und bieten Sie auf der anderen Seite auch nur Hilfe zur Selbsthilfe an, wo sie wirklich gebraucht wird. Achten Sie bei aller Hilfsbereitschaft, auch und gerade Ihren Liebsten gegenüber, darauf, dass Sie keine Wachstumsprozesse damit stören.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei und ein gutes Gespür, wann Hilfe nötig und wann sie eher schädlich ist.
Alles Gute
und bis bald
Ihr
Gerd Ziegler