Armut isoliert
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Es gibt viele Verbrechen, die einem in unserer Gesellschaft verziehen werden. Es gibt zahlreiche Resozialisierungsprojekte und mehrheitlich ist man bemüht, den Menschen, die einmal einen Fehler gemacht haben, eine zweite Chance zu geben. Nur ein Vergehen zieht fast automatisch den Ausschluss aus der Gesellschaft nach sich - die Armut. Kein Wunder, dass sich die Menschen vor ihr mehr fürchten als vor dem Höllenfeuer.
In diesem Blickpunkt widmen wir uns einem höchst unangenehmen Thema - der Armut und den Folgen die sie für uns hat.
Freundschaft basiert auf Gemeinsamkeiten
Haben Sie Freunde? Ja natürlich haben Sie die. Jeder hat Freunde, oder? Okay, vielleicht nicht jeder - aber die meisten Menschen haben einen oder mehrere Freunde. Ich unterstelle jetzt einfach mal, Sie haben welche. Wie viel verdienen diese Freunde? Ungefähr so viel wie Sie selbst auch? Plus-Minus ein paar Prozent? Vielleicht sogar das Doppelte oder die Hälfte?
Falls sich Ihr Einkommen verändert hat, hat sich damit auch Ihr Freundeskreis verändert? Haben Sie eine steilere Karriere hingelegt, als Ihre Freunde von früher, oder haben diese im umgekehrten Fall Sie überflügelt? Wenn ja, hat sich das auf Ihre Freundschaft und die Häufigkeit der gemeinsamen Aktivitäten ausgewirkt?
Bis auf wenige Ausnahmen entwickeln wir uns mit der Zeit auseinander. Das ist schon ohne die finanziellen Unterschiede so. Man entwickelt sich in unterschiedliche Richtungen, setzt neue Maßstäbe für sich, ändert seine Ansichten, setzt andere Prioritäten. Freundschaften basieren schließlich nicht zuletzt auf Gemeinsamkeiten, auf gemeinsamen Interessen und Aktivitäten. Auf Dingen, die einen verbinden. Wenn diese Grundlagen wegfallen, verändert sich auch das Verhältnis zu den Freunden. Das heißt nicht gleich, dass man mit diesen Menschen nichts mehr zu tun haben will. Es ergibt sich einfach aus den veränderten Umständen. Manchmal sehr schnell - manchmal erst nach und nach.
Geld spielt dabei eine zentrale Rolle. Das geht bei der Urlaubsplanung los. Wenn Sie gerne eine Tour durch Australien machen würden, das Budget der Freunde aber grade mal für einen Ausflug zum Schnäppchenpreis nach Malle reicht - wählen Sie dann aus Rücksicht auf Ihre ärmeren Freunde die preiswerte Alternative? So nach dem Motto - Hauptsache wir können zusammen fahren?
Vielleicht machen Sie das sogar einmal, aber irgendwann wollen Sie Ihre eigenen Träume auch umsetzen und das ausleben, was Sie sich nun leisten können. Daran ist ja schließlich nichts Verwerfliches. Auch Ihre Freunde werden Menschen finden, deren Budget ähnlich gelagert ist und dann mit denen nach Mallorca fliegen. Ähnliche Gelegenheiten werden sich häufen und mit der Zeit entwickelt sich alles auf unterschiedlichen Wegen.
Ändern sich die Umstände, ändern sich die Freundschaften
Ich will daraus gar keinen Staatsakt machen - im Gegenteil - ich beschreibe hier alltägliche Vorgänge. Ich habe zahllose Menschen bei unterschiedlichsten Gelegenheiten kennengelernt und wieder aus den Augen verloren, obwohl wir teilweise jahrelang zusammen gearbeitet haben, oder bei gemeinsamen Aktivitäten zusammen waren. Ich denke da nur an Freunde, mit denen mich der Sport verband, Freunde aus der Schulzeit, Freunde aus der Kindheit, Freunde aus Jugendzeiten, mit denen ich früher fast täglich etwas unternommen habe und viele mehr.
Ich freue mich heute noch immer mal wieder jemand aus diesen Zeiten zu treffen, aber meist bleibt es dann bei einer oberflächlichen Unterhaltung. Nicht weil wir uns nicht mehr mögen, sondern einfach weil die gemeinsame Basis, die Vertrautheit von früher oft weg ist.
Wie gesagt - im Normalfall gehen auf diesem Wege Menschen aus unserem Blickfeld, aus unserer Wahrnehmung und andere kommen dafür herein. Das reichere Pärchen aus dem vorigen Beispiel wird neue Freunde finden, die ebenfalls kostspieligere Interessen verfolgen können und vor allem auch, damit verbunden, andere Interessen und Ansichten haben. Genau wie bei denen, die eben weniger haben. Es gibt ja diese Theorie, dass wir ungefähr dem Durchschnitt der fünf Menschen entsprechen, mit denen wir die meiste Zeit verbringen. Auch einkommenstechnisch.
Alles in Ordnung. Stimmt also das alte Sprichwort: "Gleich und Gleich gesellt sich gerne", doch irgendwo? Sucht man sich also Seinesgleichen und alles ist wieder in Ordnung?
Nun, erstens ist es nicht ganz so einfach, denn natürlich sind nicht alle Beteiligten so pragmatisch veranlagt und denken: "Na gut, mein Freund oder meine Freundin sind jetzt erfolgreicher als ich, dann such ich mir halt jemand anders." Meistens ist so eine Trennung durch Unterschiede mit Enttäuschungen, falschen Erwartungen bis hin zum handfesten Streit, verbunden. Außerdem gibt es eine bestimmte Grenze für solche "Freundesaustauschaktionen". Bisher haben wir ja unterstellt, allen Beteiligten ginge es noch einigermaßen gut. Der eine Teil kann es sich zwar nicht leisten mit den Freunden auf Weltreise zu gehen, aber dann fährt man halt nach Spanien oder an die Ostsee.
Unterschiede sind normal, aber Armut isoliert komplett
Aber es gibt auch Freunde, die entwickeln sich komplett Richtung finanziellem Abgrund. Der Hauptverdiener oder die Hauptverdienerin wird krank, arbeitslos oder es steht eine Scheidung an. Eine Investition geht schief, oder ein Unternehmen geht bankrott. Es gibt viele Ursachen für Armut. Von heute auf morgen ändert sich für diese Menschen alles. Manche verlieren sogar das Dach über dem Kopf.
Es sagt sich dann so leicht, dass man dann die wahren Freunde kennenlernt und die falschen sich verabschieden. Aber seien Sie mal ehrlich - wie eng wäre das Verhältnis zu den Menschen, mit denen Sie gerade die meiste Zeit zusammen sind, wenn die gemeinsame Basis wegbrechen würde? Wenn also die gemeinsamen Hobbies, die gemeinsamen geschäftlichen Aktivitäten, die Freizeit- und Sportaktivitäten wegfallen würden - würde sich dann die Freundschaft halten?
Ich spreche nicht davon, dass man eine Zeit lang so gut wie möglich helfen würde - ich unterstelle mal, dazu wären die meisten noch bereit - aber könnte eine Freundschaft in solch ungleichen Verhältnissen überleben?
Der Blick zurück enthüllt die Wahrheit - geht arm und reich zusammen?
Jetzt wo ich diese Betrachtungen hier anstelle, ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass Freundschaft ja schließlich wichtiger sei, als materielle Unterschiede und überhaupt, dass Freundschaft das Wichtigste überhaupt ist, abgesehen vielleicht von der Familie. Vielleicht gehen Ihnen gerade ähnliche Gedanken durch den Kopf und es regt sich Widerstand in Ihnen, weil Sie da ja ganz anders sind - nicht so oberflächlich und egoistisch.
Einem Blick zurück hält dieses Selbstbild aber zumindest bei mir nicht wirklich stand. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich bei der Auswahl meiner Freunde und meines Bekanntenkreises, keine Unterschiede gemacht habe und keine mache, was materiellen Reichtum angeht. Unter den Menschen, mit denen ich regelmäßig zusammentreffe, sind sowohl Hartz-IV-Empfänger, als auch Millionäre, Arbeitslose, Manager und Unternehmer, Arbeiter und Geschäftsführer. Ich habe da keinerlei Berührungsängste, weder bei Arm noch bei Reich.
Aber selbst bei dieser breiten Palette an Menschen, mit denen ich zu tun habe, entspricht der engere Freundeskreis dem oben beschriebenen Bild. Er veränderte sich im Lauf der Jahre. Manche Freundschaften wurden enger, andere Menschen habe ich fast komplett aus den Augen verloren. Teilweise weil ich anderweitig beschäftigt war, mich anders entwickelt habe, als diese Menschen, teilweise aber auch weil die sich anders entwickelt haben. Die Frage ob eine Freundschaft vertieft wird oder auseinander geht, treffe ich ja nicht alleine.
Auch wenn ich also keine materielle Bewertung meiner Freundschaften vornehme, so unterliege ich doch diesen Automatismen, dass die Wege sich meistens trennen, wenn die Entwicklung auseinander geht. Das gilt für Interessen, Bildung und Geisteshaltung, das gilt aber auch für unterschiedliche Entwicklungen bei Einkommen und Vermögen.
Während aber unterschiedliche Entwicklungen im Einkommen einfach einen neuen Freundeskreis zur Folge haben, isoliert Armut komplett. Mittellos zu sein sorgt dafür, dass Sie nicht mehr in den gleichen Läden shoppen können, nicht mehr beliebig abends ausgehen können, und wenn, dann nicht mehr in allen Restaurants essen können, nicht mehr teure Veranstaltungen besuchen können, sich jeden Kinobesuch zweimal überlegen müssen, sich Klamotten kaufen müssen, denen man es ansieht, dass sie gebraucht sind und vieles mehr - von Urlaub, guter Wohngegend, teuren Autos und anderem Luxus mal ganz abgesehen.
Freunde oder Gönner? Worauf würden Sie aus Solidarität verzichten?
Nehmen wir an, Sie würde dieses Schicksal treffen, oder Sie sind bereits betroffen - würden Ihre Freunde aus Solidarität auch auf diese Dinge verzichten? Oder würden Sie Ihnen von ihrem Einkommen dauerhaft etwas abgeben? Und wenn ja, würden Sie es annehmen? Wie würden Sie sich dann fühlen? Wären es dann noch Ihre Freunde, oder plötzlich Ihre Gönner? Würden Sie umgekehrt die Freundschaft im gleichen Maße aufrecht erhalten, wenn es nicht Sie, sondern Ihre Freunde treffen würde?
Ich denke, für viele Menschen gibt es maximal eine bis zwei Personen, für die sie solche Unterschiede überwinden würden, wenn überhaupt. Selbst da wird es Momente geben, wo es schwer fallen wird. Wenn die Unterschiede dauerhaft werden, scheint es fast unmöglich, zumindest was den alltäglichen Umgang angeht.
Damit will ich allerdings weder jemand anklagen, noch auf die Mitleidsdrüse drücken. Es handelt sich hier schließlich einfach um eine Beobachtung menschlichen Verhaltens, bei dem es, wie immer, selbstverständlich auch Ausnahmen von der Regel gibt. Es geht vielmehr darum, diese Abläufe und Automatismen zu verstehen und zu erkennen, wie unser Denken nach wie vor funktioniert und wie das unsere Welt beeinflusst.
Bewusstheit ist die Basis für Veränderung
Nur wenn wir uns diese Dinge bewusst machen, und ehrlich mit uns selbst sind, können wir daran gehen uns anders zu organisieren. Wir können beginnen bewusst umzudenken. Wir können beginnen, Organisationsformen und Systeme zu schaffen, in denen die Unterschiede zwar gelebt werden können, aber ohne dass Einzelne davon gleich komplett ausgeschlossen werden. Wir müssen dabei hin zum sowohl-als-auch und weg vom Du-oder-Ich-Denken. Die Angst, dass nicht genug für alle da ist, und jeder um seinen Anteil kämpfen muss, ihn gegen die Anderen verteidigen muss, ist tief in uns verankert und sie wird auch am Leben gehalten von Menschen, die von dieser Angst profitieren.
Dass es auch anders gehen könnte, zeigt das Gradido-Modell von Bernd Hückstädt. Unter folgendem Link finden Sie Informationen über den Gradido, warum es sich dabei um eine echte Alternative handelt und was damit verändert werden kann:
Gradido - die natürliche Ökonomie des Lebens!
Unabhängig davon ist es mir aber noch wichtig darauf hinzuweisen, dass Armut in unserem heutigen System durchaus jeden treffen kann. Das ist keine Schande. Trotzdem muss Ihnen bewusst sein, dass diese Armut isoliert, ganz einfach weil Sie sich viele der früheren, gemeinsamen Aktivitäten mit Freunden nicht mehr leisten können. Die Gefahr sich mit dieser Rolle abzugeben und sich in den neuen Verhältnissen einzurichten, ist ein natürlicher Impuls. Widerstehen Sie ihm.
Bewahren Sie einen kühlen Kopf und tun Sie alles Erforderliche um wieder auf Ihr gewünschtes Niveau zu kommen. Finden Sie gerade in so einer Extremsituation heraus, was Sie wirklich wollen und fangen Sie damit an, dieses Ziel zu verfolgen. Nehmen Sie Ihre aktuelle Situation einfach als Ausgangspunkt. Machen Sie von da aus den nächstmöglichen Schritt - und dann den nächsten - und den nächsten usw. Sie können damit nicht scheitern, es sei denn Sie glauben Ihre aktuelle Lage sei eine unüberwindliche Grenze Ihrer Möglichkeiten.
Gestalten Sie Ihr Leben, egal welchen Schwankungen es unterliegt, oder in welcher Lage Sie sich gerade befinden. Es handelt sich immer nur um Momentaufnahmen, um Startpunkte in Ihr zukünftiges Leben. Viel Glück auf Ihrem Weg.
Alle Gute und
bis bald
Ihr
Gerd Ziegler