Altern macht Spaß
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Zugegeben dieser Titel wird vielleicht nicht Ihre uneingeschränkte Zustimmung finden und das soll er auch gar nicht. Schließlich wollen wir alle zwar alt werden, aber nicht alt sein. Und mit dem Begriff alt sein oder älter werden, verbinden wir normalerweise keine sehr positiven Erwartungen. Zu schnell und zu häufig kommen uns da Bilder von pflegebedürftigen Menschen in den Sinn, die Schritt für Schritt ins Stadium eines Säuglings zurückfallen, am Ende ihrer Tage ihre Verwandten nicht mehr erkennen und ihre Schließmuskel nicht mehr im Griff haben.
Deshalb werden wir uns in diesem Blickpunkt über ein Thema unterhalten, das wir normalerweise am liebsten verdrängen, oder erst gar nicht mit uns in Verbindung bringen - dem Altern. Ja, ich weiß, es gibt angenehmere Themen, aber ich verspreche Ihnen, es wird mehr Spaß machen, als es zunächst den Anschein hat.
Wie um Gottes Willen kann jemand Spaß am Altern haben?
Auf die Frage komme ich gleich zurück, gestatten sie mir zunächst ein paar Gedanken im Vorfeld. Ich unterstelle mal, dass keiner von uns gerne alt und gebrechlich werden möchte und begeistert ist, wenn er oder sie ein freies Leben, gegen die Abhängigkeit von Pflegekräften und Familienangehörigen eintauschen muss. Schreckensvisionen von Demenz und Verfallserscheinungen, die so manchem Menschen die letzten Tage auf Erden zur Hölle machen, dienen nicht gerade dazu, uns Mut für das Kommende zu machen.
Die vielgerühmte Würde des Menschen bleibt da oft fast zwangsläufig auf der Strecke. Das sind keine sehr schönen Aussichten und es ist verständlich, dass diese Vorstellung Ängste in uns hervorruft.
Auch ich erschrecke immer mal wieder, wenn ich mir bewusst mache, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach schon mehr als die Hälfte meines Lebens hinter mir habe. Rein statistisch sind es sogar schon fast zwei Drittel. Nicht dass ich schon Gebrechlichkeit in mir spüren würde, aber selbstverständlich geht der Alterungsprozess an keinem spurlos vorbei.
Rein äußerlich ändert sich die Farbe der Haare, sofern man noch einen Großteil davon hat. Die eine oder andere Krankheit liegt hinter einem, oder begleitet einen schon seit geraumer Zeit. Viele Menschen haben mit 40 oder 50 Jahren schon einen Medizinschrank angesammelt, der könnte auch als Musterkoffer eines Pharma-Vertreters durchgehen.
Die Fitness lässt nach, oder ist zumindest schwieriger aufrecht zu erhalten und die körperliche Leistungsfähigkeit allgemein, bedarf größerer Anstrengungen, wenn es sich überhaupt vermeiden lässt, dass sie zurückgeht.
Das führt mich zur obigen Frage zurück: Warum um Gottes Willen sollte es also Spaß machen zu altern? Wie komme ich auf so einen schwachsinnigen Titel für diesen Blickpunkt?
Was ist etwas wert, das uns immer und ewig zur Verfügung steht?
Zunächst mal kann man dem Altern etwas Positives abgewinnen, weil es völlig egal ist, ob es uns Spaß macht oder nicht. Wir altern so oder so. Warum also nicht Spaß haben, am Unvermeidlichen? - Okay, das ist noch nicht besonders tröstlich, das gebe ich zu, auch wenn es natürlich wahr ist.
Darüber hinaus verschafft uns das Bewusstsein unserer Vergänglichkeit, aber auch Wertschätzung für das, was wir jetzt noch haben. Jedenfalls, wenn Sie die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Zusätzlich können Sie, wenn Sie sich über die Lebensprozesse klar sind, hier und jetzt Maßnahmen ergreifen, um dem körperlichen Verfall zumindest ein wenig hinauszuzögern und dadurch in Würde und mit Klarheit und so gesund wie möglich alt werden. Ich weiß - es gibt auch erbliche Faktoren und äußere Einflüsse, auf die man sich nicht vorbereiten kann - aber eben auch einen erheblichen Teil, den wir beeinflussen können. Denken Sie nur an die einfachen Stellschrauben, wie Ernährung und Bewegung. Man muss ja nicht gleich zum Asketen werden, aber ein wenig mehr Körperbewusstsein, würde den meisten von uns hier nicht schaden, finden Sie nicht? Und ich schließe mich da ausdrücklich mit ein.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten ewige Jugend und ein Leben, das nicht endet. Welchen Wert hätte das für Sie? Wüssten Sie zu schätzen, was Ihnen dann geschenkt würde, oder würde es zu etwas, das jeglichen Wert verlieren würde? Wenn Sie unbegrenzt Zeit hätten, welche Motivation, welchen Antrieb hätten Sie heute etwas für sich zu tun?
Der wichtigste Punkt ist folgerichtig die Wahrnehmung der unterschiedlichen Vorzüge unserer Lebensphasen. Wenn Sie sich nicht dazu hinreißen lassen, bei dem hängen zu bleiben, was Sie verlieren, wenn Sie älter werden, dann werden Sie erkennen, dass es auch jede Menge positiver Begleiterscheinungen gibt, die damit einhergehen.
Sowohl im Rahmen meiner Arbeit, als auch im ehrenamtlichen Bereich habe ich immer mit Menschen aller Altersklassen zu tun. Die folgenden Beobachtungen meiner selbst und der Menschen, die mir begegnen, erhebt keinen Anspruch auf Genauigkeit und generelle Gültigkeit. Selbstverständlich gibt es Zwanzigjährige, die sind schon erwachsener und in ihrer Entwicklung weiter, als mancher Rentner es je werden wird. Und selbstverständlich gibt es Sechzigjährige, die im Herzen jünger und flexibler sind, als viele Jugendliche.
Jeder Mensch hat da sein ganz individuelles Maß. Aber es gibt Tendenzen und mehrheitliche Verhaltensweisen, die man durchaus alterstypisch nennen kann - zumindest wenn man das will. :-)
Das beste Alter hat man immer JETZT erreicht
Während ich in jungen Jahren die Welt oft noch als Schwarz-Weiß-Aufnahme betrachtet habe, erkenne ich heute viel besser die bunte Vielfalt und die Wichtigkeit jeder Farbfacette. Auch die Berechtigung und die Funktion, der eher dunklen Seiten.
Vieles was mir früher schwierig, oder gar unmöglich erschien, ist heute zur Selbstverständlichkeit geworden. Vor anderen Menschen zu sprechen zum Beispiel. Oder die Fähigkeit, die eigene Meinung auch gegen Widerstände zu vertreten, oder einzulenken, wenn sich herausstellt, dass diese Meinung falsch war. Die Fähigkeit persönliche und sachliche Angriffe voneinander zu trennen und gesondert zu verarbeiten ist ebenfalls eine Errungenschaft, die erst mit der Zeit kam.
Mit der nötigen Erfahrung gelingt es einem außerdem zunehmend besser, Ereignisse besser einzuordnen und deren Bedeutung besser einzuschätzen. Man lässt sich nicht mehr so leicht ins Boxhorn jagen und weiß, dass selten etwas so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde.
Wer mit offenen Augen und offenen Ohren durch die Welt geht, seine Erfahrungen analysiert und mit den öffentlichen Thesen abgleicht, der gewinnt mehr Gelassenheit gegenüber dem Unabänderlichen. Krankheit, Tod und sonstige Leiden sind immer noch schlimm, verlieren aber einen Großteil ihres Schreckens. Wir können mit der Zeit erkennen, dass wir ihnen nicht entfliehen können, aber dass wir es durchaus in der Hand haben, ob sie uns die Gegenwart auch schon vermiesen können.
Von der Kunst zu lieben was ist
Mit Sicherheit ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass es verbitterte, leidende alte Menschen gibt und glückliche, die ihre Tage genießen. Und wenn Sie genauer hingesehen haben, haben Sie vielleicht bemerkt, dass es nicht immer die Gesunden und Fitten waren, die glücklich sind und nicht immer die Eingeschränkten, die unglücklich waren.
Vielmehr haben alle Menschen, die älter werden, mit körperlichen Problemen und Problemchen zu kämpfen. Der Unterschied zwischen den glücklichen und unglücklichen Menschen liegt nicht im äußeren Zustand des Menschen, sondern in seinem Fokus. Das gilt übrigens nicht nur fürs Alter, sondern auch für junge Menschen. Nur gewinnt dieser Fokus im Alter noch mehr an Bedeutung.
Es macht nämlich einen himmelweiten Unterschied, ob Sie sich darauf konzentrieren, was Ihnen mit der Zeit alles genommen wurde, oder ob Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf legen, was Sie noch alles tun können. Glauben Sie das?
Wenn Sie zum Beispiel durch eine Krankheit oder einen Unfall nicht mehr so gut laufen können, dann können Sie berechtigterweise den Verlust ihrer Bewegungsfreiheit beklagen. Es ist schließlich alles andere als schön, nicht mehr einfach wandern gehen zu können, oder mal eben etwas einkaufen gehen zu können, oder gar nur noch unter Schmerzen vorwärts zu kommen. Keiner wird Ihnen einen Vorwurf machen, wenn Sie solch ein Schicksal beklagen und man ist in so einer Situation leicht versucht, diesem Umstand seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Einen Gefallen tut man sich damit allerdings nicht.
Man macht diesen Umstand dadurch zum unnötig wichtigen Element, in manchen Fällen sogar zum bestimmenden Element, des eigenen Lebens. Wollen Sie das? Möchten Sie, dass sich Ihr Leben, oder besser gesagt Ihre Gedanken, Gespräche und Handlungen nur noch um eine Krankheit oder eine Behinderung drehen? Ich hoffe nicht.
Und dennoch scheinen manche Menschen wahre Wettbewerbe auszurufen, wem es jetzt wohl grade am schlechtesten geht und wer gerade am schlimmsten dran ist. Wenn Sie das nicht glauben, dann gehen Sie mal an einem ganz normalen Tag zu einem Arzt Ihrer Wahl, setzen Sie sich in das Wartezimmer und hören Sie einfach nur zu, was die Menschen, vorzugsweise die älteren Menschen, so von sich geben.
Die magische Anziehungskraft des Negativen
Als meine Mutter älter wurde und mit der Zeit sowohl mit der Hüfte, als auch mit Osteoporose, Herz-Kreislauf und noch ein paar weiteren Herausforderungen zu kämpfen hatte, durfte ich oft live erleben wie so eine Negativspirale funktioniert, wenn sie Besuch von ihren Altersgenossen bekam.
Ich habe es nicht gemessen, aber ich schätze mal mindestens 80 % der Zeit ging es in den Gesprächen darum, wer welche Krankheit hat, wer gerade gestorben ist, welch schlimmes Schicksal jemandem widerfahren ist und mit welchen Einschränkungen jeder und jede Einzelne nun zu kämpfen habe. Beendet wurde so mancher Satz dann mit einem langen Seufzer und mit Worten, wie: “Ach ja, früher war alles einfach besser”, oder “Man sollte einfach nicht alt werden”, oder “Es ist doch alles sch…, wenn man dies oder jenes nicht mehr kann”, oder die Krönung derartiger Sätze: “Wenn man so dran ist, sollten sie einen erschießen.” Ich übertreibe hier nicht - solche Sätze fielen da andauernd.
Wäre ich damals noch ein Kind gewesen, hätte ich wahrscheinlich Albträume bekommen. Aber auch so habe ich immer schnellstmöglich das Zimmer verlassen, um Depressionen zu vermeiden. Und das empfehle ich Ihnen auch dringendst. Wenn Sie sich plötzlich in solchen Gesprächen wiederfinden, ergreifen Sie die Flucht. Hauen Sie ab und laufen Sie so schnell es Ihnen Ihre Beine noch erlauben. Das meine ich absolut ernst. Es ist hochgradig ansteckend.
Selbst ich, der ich mich rühme, über solche Mechanismen Bescheid zu wissen, und die Kraft der Gedanken zu kennen, ertappe mich immer wieder dabei, mich in derartige Gespräche hineinziehen zu lassen. Das Negative scheint eine fast magische Anziehungskraft auf uns Menschen zu haben. Irgendwie sind wir fasziniert von irgendwelchen Schicksalsschlägen und vom Leid, ähnlich der Faszination, die ein Unfall auf manche Autofahrer ausübt, die den Blick nicht abwenden können und gaffend daran vorbeifahren.
Die Befreiung vom Perfektionismus
Bei allem Verständnis für die Faszination für das Negative, und bei allem Verständnis dafür, dass es manchmal einfach gut tut, mal zu jammern und sich über sein Schicksal zu beklagen. Es macht keinen Sinn, dies zum Dauerzustand werden zu lassen. Dazu ist das Leben viel zu schön.
Wenn Sie Ihr Leid beklagen wollen, machen Sie das. Stellen Sie sich hin und jammern Sie Ihrem Spiegel kurz etwas vor und dann lachen Sie über die komische Situation. Oder schreiben Sie Ihre Klage auf ein Stück Papier und werfen Sie es dann weg. Es tut gut, kurz Dampf abzulassen, aber dann geht es wieder nach vorne.
Altern kann nämlich durchaus auch Spaß machen. Oder genauer gesagt, es hat auch seine schönen Seiten. Es macht Spaß sein Wissen weiterzugeben und die eigenen Erfahrungen teilen zu können. Es bereitet einem Freude, wenn sich die vielen Puzzleteile, die man im Leben vorfindet, langsam zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Es ist schön, wenn man beginnt, die Welt und ihre Zusammenhänge besser zu verstehen. Es ist ein tolles Gefühl, nicht mehr ganz so stark von seinen Emotionen getrieben zu werden.
Es ist wunderbar, nicht mehr perfekt sein zu müssen. Nicht dass das irgendjemand jemals sein musste, aber die Erkenntnis, dass das so ist, kommt oft erst im Alter, beim Einen früher beim anderen später. Wenn man aufgehört hat, sein Alter zu verstecken und durch unzählige Cremes, Operationen und sonstige Hilfsmittel zu kaschieren, dann gewinnt man ein großes Stück Freiheit. Man darf mit zunehmendem Alter unperfekt sein. Die eine oder andere Unzulänglichkeit wird einem nachgesehen, vor allem von einem selbst. Das ist eine große Erleichterung für Viele.
Je nachdem, was Sie arbeiten, ergeben sich mit der Zeit auch Freiräume und man lernt die ruhigeren Momente mehr zu schätzen. Man muss es nicht mehr immer und jederzeit allen beweisen, was für ein toller Hecht man doch ist, oder was für eine leistungsfähige, taffe Frau man doch sein kann. Es ergeben sich daraus Freiräume für die Reifung der Persönlichkeit, für mehr Gelassenheit und Souveränität. Das ist toll, finden Sie nicht?
Gewinn oder Verlust - worauf legen Sie Ihr Augenmerk?
Ich könnte diese Liste jetzt noch eine Weile fortsetzen, aber Sie werden das auch alleine hinkriegen. Suchen Sie bewusst, die Vorteile Ihrer Zeit, Ihrer persönlichen Umstände. Ich bin mir sicher, Sie werden Dinge vorfinden, die gefallen Ihnen nicht am fortschreitenden Alter, aber Sie werden mindestens genauso viele Dinge finden, die heute besser sind, oder Ihnen leichter fallen wie früher. Sie entscheiden, worauf Sie sich fokussieren. Auf das was Sie verlieren, oder auf das, was Sie gewinnen.
Werden Sie sich Ihrer Bedürfnisse bewusst. Machen Sie sich klar, was Sie noch alles tun können. Ändern Sie das, was Sie ändern können und akzeptieren Sie das, was nicht zu ändern ist. Gestalten Sie Ihr Leben zu jeder Zeit selbst, oder jedenfalls die wichtigsten Teile davon. Und lassen Sie sich keine Angst einjagen vor dem Alter und dem Tod. Beides gehört zum Leben dazu. Die einzige Alternative zum Älter werden, ist frühzeitig sterben und das ist auch nicht schön. Kümmern Sie sich also um mögliche negative Folgen des Älterwerdens wenn sie auftreten - dann ist noch genug Zeit dafür. Lassen Sie sich auf keinen Fall die Gegenwart vermiesen, durch dauernde Angst vor einer möglichen Zukunft, die so vielleicht gar nicht kommt.
Ich wünsche Ihnen ein glückliches Leben, in dem Sie jede Phase genießen können, indem sie deren Vorzüge bewusst wahrnehmen. Konzentrieren Sie sich immer auf das, was Sie mit dem Eintritt in eine neue Phase Ihres Lebens gewinnen, anstatt auf das, was Sie durch das Zurücklassen der bisherigen Phase verlieren. Das ist die Basis für ein glückliches Leben.
Wie sind Ihre Erfahrungen? Gelingt Ihnen diese Fokussierung auf das Gute und Schöne immer? Wenn ja, lassen Sie uns an Ihren Tipps und Tricks teilhaben. Oder sind Sie ganz anderer Meinung? Ich freue mich darauf von Ihnen zu lesen. Nutzen Sie die Kommentarfelder unter diesem Beitrag.
Alles Gute und
bis bald
Ihr
Gerd Ziegler